Christina Doll
Engel + Bergmann
Aluminium
2025
Ein junges Mädchen mit ausgebreiteten Armen und weitem Gewand steht neben einem schlanken Mann mit Grubenhelm, der dem Betrachter ein Stück Erz anzubieten scheint. Die beiden Figuren von Christina Doll erinnern an das traditionelle erzgebirgische Motiv von Engel und Bergmann, das die 1972 in Köln geborene und heute in Berlin lebende Künstlerin in eine zeitgenössische Bildsprache übersetzt. Dolls aus Bronze oder Aluminium gegossene Figuren verweisen weniger auf die über Jahrhunderte tradierten Gestaltungsweisen erzgebirgischer Ikonografie. Ihr Engel und Bergmann wirken in ihren Gesichtszügen, ihrer Ausstattung und Gestalt wie aus dem Leben gegriffen. Die Künstlerin nähert sich den Menschen in Beobachtungsprozessen, porträtiert sie nicht, sondern fühlt sich in ihr Wesen ein, beobachtet Gestik und Mimik, findet Besonderheiten und Gemeinsamkeiten. Nicht Prominenten oder Social-Media-Identitäten, sondern marginalisierten Gruppen und unterdrückten Narrativen gibt sie in ihren lebensnahen, unmittelbaren und wahrhaftigen Skulpturen ein Gesicht und eine Gestalt, deren Eindringlichkeit jede Oberfläche durchbricht.
„Gefühle sind stärker als das Bewusstsein“, beschreibt Doll ihre Erfahrung bei der Begegnung mit einer Gruppe von Kindern mit körperlichen und kognitiven Besonderheiten. Die Künstlerin beobachtete sie beim Einstudieren des Krippenspiels und übersetzte ihre Gesten, Gesichtszüge und Gestalt in die Figur eines Engels. Für den Bergmann recherchierte die Künstlerin die Geschichte des Bergbaus und der zugehörigen Kirche St. Wolfgang in Schneeberg, wo im 15. Jahrhundert neben Zinn, Eisen und Kupfer auch reiche Silbervorkommen abgebaut wurden.
Als Pechblende bezeichnet und als unbrauchbar angesehen, wurde über die Jahrhunderte jenes Erz auf Halden geworfen, das zwischen 1946 und 1957 Schneeberg prägte: Uran. Betrieben von der Sowjetisch-Deutschen AG Wismut, wurde das Erz in den Schachtanlagen von Objekt 03 unter strengster Geheimhaltung, anfangs auch unter Zwangsarbeit und mit dramatischen Folgen für Arbeiter, Bevölkerung und Natur abgebaut, um daraus in der Sowjetunion Brennstäbe und Atomwaffen herzustellen. Doll verlieh der Bergmannsfigur nach einer alten Fotografie die Gesichtszüge eines Wismut Arbeiters, ihre Gestalt knüpft an Lucas Cranachs Darstellung des Adam auf dem Reformationsaltar von St. Wolfgang an. Mit dem Figurenpaar Engel und Bergmann schafft die Künstlerin keine idealisierte Darstellung, sondern setzt dem wirklichen Leben, den Menschen, ihrer Arbeit und ihrem Leiden in einfühlsamer, fast demütiger Weise ein Denkmal, das in Hohndorf und in anderen Orten des Erzgebirges zu erleben ist.
(Ulrike Pennewitz / Alexander Ochs)