Stijn Ank: Endless Column

Hainichen

Stijn Ank: Endless Column, Courtesy: Galerie Michael Janssen, Berlin, Foto: Ernesto Uhlmann

Der 1977 in Brüssel/Belgien geborene Stijn Ank, studierte zunächst Architektur und wandte sich erst später der bildenden Kunst zu. Der Künstler arbeitet in seinem bildhauerischen Werk mit der Idee des negativen Raums. Mit Hilfe von Holz-, Metall- und Gummiformen gießt Ank seine Objekte in Gips und fertigt daraus Skulpturen aus papierweiß patinierter Bronze, die in ihrer Leichtigkeit und Farbigkeit mehr auf die Modellform als auf das Metall verweisen, aus dem sie gefertigt sind. Die Skulptur Endless Column, deren Titel auf die ikonischen Werke des rumänischen Bildhauers Constantin Brâncuși anspielt, scheint den Negativraum aus weichen Kissen oder Säcken auszufüllen, die quadratisch um einen Mittelpunkt angeordnet und übereinander gestapelt sind. Wie eine schmale weiße Säule ragen ihre geschichteten, unregelmäßigen Vertiefungen senkrecht in den Himmel und füllen eine unendlich erweiterbare Leere. Anks Skulptur wirkt wie das Fragment eines endlosen und nicht zu beendenden Prozesses, wie eine aus Papier entstehende Schichtung von Formen und manchmal auch Gedanken.

In Hainichen steht Endless Column neben dem Geburtshaus des 1715 geborenen Dichters, Philosophen und Aufklärers Christian Fürchtegott Gellert einerseits und oberhalb eines Denkmals für den gut ein Jahrhundert später geborenen Ingenieur Friedrich Gottlob Keller andererseits. Gellert, der in den 1740er und 1750er Jahren als Universitätsprofessor in Leipzig lehrte und seine Moralvorlesungen und Fabeldichtungen als praktische Sittenlehre verstand, inspirierte eine Generation junger Dichter und Dichterinnen, darunter Johann Wolfgang von Goethe oder Christiane Karoline Schlegel. Seine Schriften wurden Mitte des 18. Jahrhunderts nach der Bibel zur auflagenstärksten Publikation in deutscher Sprache. Sein publizistischer Erfolg lag noch vor der Verwendung des industriell gefertigten Holzschliffpapiers, dessen Entwicklung im Jahr 1816 auf Keller zurückgeht. 

Es waren die Bauten der Wespen, die den in Hainichen wirkenden Erfinder auf die Idee der „Friction“ brachten und zur Herstellung des ersten Papiers aus geschliffenen Holzfasern führten. Mit seiner Erfindung legte Keller den Grundstein für die polygraphische Industrie, für die Zeitung als Massenmedium und damit auch für die moderne Informationsgesellschaft. Im nahen Frankenberg druckte Carl Gottlob Roßberg 1845 die erste Tageszeitung auf „Keller-Papier“.

(Text: Alexander Ochs / Ulrike Pennewitz)

Stijn Ank
Endless Column

In Hainichen, Gellertplatz

Material: Bronze, weiß patiniert

Maße: 3 x 0,5 x 0,5 m

Aufgestellt mit Unterstützung der Stadt Hainichen.

Adresse:
Gellertplatz
09661 Hainichen

zum Standort auf Google Maps

Hainichen: Papier als Medium der Aufklärung und Industrialisierung 

Die Installation von Stijn Anks „Endless Column“ am Gellertplatz in Hainichen verbindet den Purple Path sogleich mit dem bekanntesten Sohn der Stadt: Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769). Der Pfarrerssohn wurde 1715 in Hainichen geboren und mit seinen Fabeln einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit. Sein Roman „Das Leben der schwedischen Gräfin von G***“ gilt heute als erster Roman der literarischen Empfindsamkeit und beeinflusste die Entwicklung des Briefromans. Ein Leitthema waren die Bewährungsproben des moralischen Handelns im sich etablierenden Bürgertum der frühen Aufklärung. 

Das Geburtshaus von Gellert befindet sich am Gellertplatz 5 und ist bis heute Pfarrhaus und Pfarramt geblieben. In Sichtweite des Purple-Path-Kunstwerkes von Stijn Ank befindet sich auch die Skulptur von Friedrich Gottlob Keller (1816-1895), dem Erfinder des Holzschliffpapiers. Auf diesem feinen und industriell preiswert herzustellenden Papiertyp werden heute noch alle Zeitungen gedruckt. 

Wer auf den Spuren Gellerts wandeln möchte, sollte dann zum Markt gehen. Hier wurde 1865 das Gellert Denkmal eingeweiht. Der Entwurf der Skulptur geht auf den spätklassizistischen Bildhauer Ernst Rietschel (1804-1861) aus Dresden zurück. Dessen bekanntestes Werk ist wohl das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar. Etwas außerhalb im Parkschlösschen, einer Villa mit englischem Landschaftsgarten aus dem 19. Jahrhundert, ist heute das Gellert-Museum beheimatet. Diese und weitere Sehenswürdigkeiten sind zu Fuß erreichbar über den Entdeckerpfad Hainichen. 

Bürgerliche Lesekultur und modernes Zeitungspapier 

Stijn Anks hat mit seiner weißpatinierten Bronzeskulptur „Endless Column“ ein Sinnbild geschaffen, das die Bedeutung des Mediums und Werkstoffes Papier für Hainichen und Europa symbolisiert. Die säulenartige Struktur erinnert an einen großen Stapel übereinandergelegter Papierblätter. Wie hoch wäre der Bücherstapel des vielgelesenen Aufklärerdichters C.F.Gellert, läge die Gesamtauflage seiner Werke übereinander?

Oder wie hoch wäre der Stapel an Zeitungen, die seit 1845 weltweit mit dem Holzschliffpapier von F.G.Keller gedruckt worden sind? Aufklärerische Lesekultur im 18.Jh. und modernes Zeitungspapier im 19. Jh. waren zwei tragende Säulen der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in Europa. Bildung und Information waren die Antriebskräfte eines neuen politisch-emanzipatorischen Selbstverständnisses.

Der Dichter und Aufklärer: Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769) 

Gellerts Vater Christian kam 1695 nach Hainichen, um eine Stelle als Diakon anzutreten. Später übernahm er das Pfarramt. Seine Frau Johanna Salome gebar 13 Kinder. Christian Fürchtegott besuchte die Fürstenschule St.Afra Meißen, studierte ab 1734 in Leipzig Philosophie und Theologie. 1751 wurde Gellert zum Professor in Leipzig ernannt. Einer seiner berühmtesten Studenten war Johann W. Goethe, der die Poetikvorlesungen hörte. 

Den größten Erfolg erzielte Gellert mit Fabeln (1746/1748). Sie waren in gereimten Versen geschrieben und endeten alle mit einer moralischen Schlusssentenz. Satirisch nimmt Gellert menschliche Schwächen ins Visier. Genau das, was den bürgerlichen Lesegeschmack und Emanzipationsanspruch der Zeit traf. Großen Publikumserfolg hatten Erzählungen und Abhandlungen über sittlich-moralischen Fragen. 

Als literarhistorisch bedeutsam wird sein Roman „Das Leben der schwedischen Gräfin von G***“ (1747/48) gesehen. Die innovative Leistung war, die Handlung als Briefroman zu konzipieren und dies als einer der ersten im deutschen Sprachraum zu etablieren. Bürgerliche Ideale der Frühaufklärung, wie Familie, Moral und christliche Sittlichkeit, prägen die Handlung. Goethe wird die Gattung des Briefromans 1774 mit „Die Leiden des jungen Werthers“ zu einer enormen literarischen Resonanz führen. 

Das Gellert-Museum in Hainichen ist Literaturmuseum zur Biografie Gellerts und zur Fabel. Heute steht Gellert im Schatten von Dichterikonen wie Lessing, Goethe und Schiller. Deshalb ist das Gellert-Museum ein wichtiger kulturhistorischer Erinnerungsort der Aufklärungszeit und eines der meistgelesenen Autoren des 18.Jhs. 

Der Erfinder des Holzschliffpapiers: Friedrich Gottlob Keller (1816-1895) 

Friedrich Gottlob Keller wurde als Sohn eines Webermeisters 1816 in Hainichen geboren. Früh muss der Knabe von Mechanik fasziniert gewesen sein, doch eine Ausbildung an einer höheren Schule war finanziell nicht möglich. Keller machte eine Ausbildung zum Weber. In seiner Freizeit tüftelt er an technischen Ideen, z.B. Telegrafie oder Wasserhebeapparaten. 

1841/42 notierte er erste Ideen, wie sich Papier aus Holzfasern herstellen ließe. Das Vorbild sah er im Nestbau der Wespen, die kleine Holzfasern zu papierartigen Strukturen fügen. Bis dato waren textile Lumpen der Rohstoff für Papier. 1843 gelang Keller erstmals die handwerkliche Herstellung von Papier aus fein geschliffenen Holzfasern und Lumpen. 1845 wurde in der Druckerei Roßberg im nahen Frankenberg mit dem „Frankenberger Kreisblatt“ die erste Zeitung in 80 Exemplaren auf dieser neuen Papierart gedruckt. 

Es war die Zeit, in der die Zeitung zum Massenmedium wurde. Der enorm steigende Papierbedarf in ganz Europa verlangte nach neuen industriellen Lösungen. Keller versuchte sich als Unternehmer und investierte in eine Papiermühle in Kühnheide bei Marienberg. Allerdings erzielte er keinen wirtschaftlichen Erfolg, sodass er sein Patent 1846 an den Papierfabrikanten Heinrich Voelter (1817–1887) aus Heidenheim verkaufte.

Die Keller-Sammlung im Gellert-Museum Hainichen bewahrt Exponate und Dokumente. Bei Veranstaltungen zur Papier- und Buchherstellung werden die Prinzipien Kellers erläutert. 

Zukunft machen: Eine typische Mentalität in Mittelsachsen 

Innovationen und Traditionsbewusstsein, Offenheit und Zuwanderung sicherten seit jeher das Überleben in Mittelsachsen. All das zeugt von vielen Transformationsprozessen, die weit in die Geschichte zurückreichen und teils bis heute andauern. Die Region war immer in Bewegung. Menschen kamen und gingen mit dem wirtschaftlichen Auf und Ab. Sie erfanden sich auch kulturell immer wieder neu. So ist es bis heute. 

Hier lebt die Kultur: Kulturwerkstätten JohannesHof e.V. 

Rund sieben Kilometer südlich vom Stadtzentrum Hainichens erreicht man über eine kleine Landstraße den Ortsteil Bockendorf. In der Mitte des Dorfes steht der Johannes-Hof. Erbaut wurde er 1848 und erlebte eine wechselvolle Geschichte als Bauerngut und Gasthof. Ab 1992 stand er für viele Jahre leer, bis sich 2015 hier der Kulturwerkstätten JohannesHof e.V. gründete und neues Leben einzog. 

Der engagierte Verein machte aus dem geschützten Kulturdenkmal eine kreative Denkwerkstatt. Hier finden u.a. Workshops, Tanzveranstaltungen, Integrationsprojekte, Konzerte statt. Für die Zukunft ist eine Sanierung des Gebäudes und ein Ausbau der Angebote geplant. „Ein lebendiges Haus mit europäischer Strahlkraft“, lautet das Motto des Vereins, der auch aktiver Partner der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 ist. 

Historische Perspektiven neu gesehen: Camera obscura in Hainichen 

Eine Camera obscura besteht aus einem absolut dunklen Raum, in den durch ein schmales Loch in der Wand das Licht einer beleuchteten Szene auf die gegenüberliegende Wand trifft. Die Projektion steht auf dem Kopf und ist seitenverkehrt. Dieses Prinzip der Bildentstehung war bereits in der Antike bekannt. Im 13. Jahrhundert wurde es zu einem Instrument der Naturwissenschaft, etwa um Sonnenflecken und Finsternisse zu beobachten. 

Seit der Renaissance und der Aufklärung wurde die Camera obscura zum kreativen Experimentierraum von Kunst (Zentralperspektive) und Philosophie (Auge und Bewusstsein). Die ersten Fotoapparate funktionierten nach demselben Prinzip. Nur 14 Camerae obscurae gibt es noch in Deutschland, davon eine in Hainichen. 

Sie entstand 1883 auf dem Rahmenberg. Während der DDR-Zeit verfiel das Holzbauwerk. Der heute bestehende 11 m hohe Turm wurde in einer bürgerschaftlichen Initiative zum 800. Stadtjubiläum neu errichtet. Zwischen April und Oktober kann man sich zu einer geführten Besichtigung anmelden. 

Mit freundlicher Unterstützung der Volksbank Mittweida eG

 

Dieser Link führt ins Internet.

Scannen Sie den QR-Code, um die Website auf Ihrem Gerät zu öffnen.