Johann Belz: Klapperbrunnen
Chemnitz


Eine Kaskade von Blättern und Blüten des Frauenmantels diente dem 1925 in Krasnik Łobeski geborenen und bis zu seinem Tod 1976 in Chemnitz lebenden und arbeitenden Bildhauer Johann Belz als Vorbild für den „Klapperbrunnen“ am Chemnitzer Omnibusbahnhof. Aus einem flachen, quadratischen Betonbecken wächst eine verzweigte Rohrarchitektur, die kleine Fontänen mit Wasser versorgt. Sie erzeugen bogenförmige Wasserstrahlen, die aus stilisierten Blütenformen entspringen und vertiefte, blattförmige und bewegliche Schalen füllen. Einige von ihnen entleeren sich kippend mit rhythmisch variierendem Klappern und geben diesem eindrucksvollen Werk konkreter Kunst seinen Namen.
Belz kam 1945 als einziger Überlebender seiner Familie nach Klingenthal, schnitzte zunächst in als Handwerker für seinen Lebensunterhalt und arbeitete später als Werbegestalter für die SDAG Wismut. Die Wismut-Kumpel hätten ihn ermutigt, so Belz in einem Selbstzeugnis, ein Kunststudium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden bei Walter Arnold aufzunehmen. Nach dem Studium arbeitete Belz als freischaffender Bildhauer und unterrichtete an der Fachschule für angewandte Kunst in Schneeberg. Der Einfluss seines Dresdner Lehrers prägte Belz' Arbeiten nach dem Vorbild der Natur bis Mitte der 1960er Jahre. Eine Ausstellung der Brunnenwerke des Berliner Bildhauers und Kunstschmieds Fritz Kühn führte zu einer künstlerisch-ästhetischen Wende in Belz‘ Werk. Im scheinbaren Widerspruch zu seinen früheren Skulpturen schuf er nun neben seinen figurativen Arbeiten auch geschweißte Kompositionen aus Rohren, gewalzten sowie getriebenen Metallblechen, und setzte eine neuartige abstrakt-konstruktive Kunst in den von sozialistischen Architekturkonzepten geprägten Stadtraum.
Neben dem Klapperbrunnen entstanden ein abstrakter Blütenstern und eine Wandgestaltung in der Mensa der TU Chemnitz. Die Arbeit an seinem letzten Werk, dem im Staatsauftrag geschaffenen Relief „Kampf und Sieg der revolutionären deutschen Arbeiterklasse“ (1970-1976) verstärkte eine schon existente Lebenskrise des Künstlers. Die monumentale Arbeit blieb durch seinen Freitod im Jahr 1976 unvollendet, ist aber an einer Fassade Brückenstraße / Bahnhofstraße zu sehen.
(Text: Alexander Ochs / Ulrike Pennewitz )
Johann Belz
Klapperbrunnen
In Chemnitz
Material: Bronze, Betonbecken
Adresse:
Nähe Omnibusbahnhof
Str. der Nationen 33
09111 Chemnitz
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Chemnitz – Lokomotive der sächsischen Industrie
Der Omnibusbahnhof am Schillerplatz als Standort des Klapperbrunnens (1968) von Johann Belz (1925-1976) erzählt viel über die letzten 200 Jahre Stadtgeschichte. Er selbst und Schlüsselbauwerke in seiner architektonischen Umgebung zeugen als markante Meilensteine von der urbanen Entwicklung. Einst war der Schillerplatz die größte städtische Grünfläche in Sachsen. Angelegt wurde er im Jahre 1858, ein Jahr vor dem 100. Geburtstag des Dichters Friedrich Schiller. Es war eine Zeit tiefgreifender Umgestaltung der städtischen Topografie, denn seit den 1830er Jahren wuchs Chemnitz mit der Industrialisierung in atemberaubendem Tempo.
Das Zeitalter der Maschinen
Vor allem Textilwaren und Textilmaschinenbau, Bau von Werkzeugmaschinen und Lokomotiven erzeugten einen außergewöhnlichen Produktionsanstieg. Günstige Bedingungen schufen der Beitritt zum Deutschen Zollverein 1834, die Erschließung der Steinkohle im Lugau-Oelsnitzer und Zwickauer Revier für Dampfmaschinenantriebe sowie der sächsische Eisenbahnbau ab 1850.
1826 begann Carl Gottlieb Haubold mit dem Bau von Spinnmaschinen. Seine Sächsische Maschinenbau-Compagnie (1836) gilt als Keimzelle des industriellen Chemnitzer Maschinenbaus. Die Stadt wirkte wie ein Magnet für Erfinder und Unternehmer. Der in der 1830er Jahre aus Ungarn zugezogene Schlosser Johann Zimmermann gründet die erste Werkzeugmaschinenfabrik. Dem aus Plauen stammenden Konstrukteur Louis Schönherr gelingt 1840 mit seinen Erfindungen die fabrikmäßige Herstellung des mechanischen Tuchwebstuhls.
Technische Bildung und Mobilität
Viele Fachkräfte wurden fortan gebraucht, die ab 1836 an der Königlichen Gewerbeschule, heute Technische Universität, ausgebildet wurden. Ihr Hauptgebäude findet sich östlich des Schillerplatzes an der Straße der Nationen. 1848 fertigt der aus dem Elsass zugewanderte Richard Hartmann die erste Lokomotive und wird zum Hauptlieferanten der der Königlich-Sächsischen Eisenbahn. Bis Ende der 1920er Jahre werden weltweit fast 4.700 Stück ausgeliefert. Der Chemnitzer Bahnhof, wenige Gehminuten östlich vom Schillerplatz entfernt, wurde 1852 eröffnet. Das heutige Empfangsgebäude im Stile des Historismus stammt aus dem Jahre 1872.
Fabriken, Wohlstand und Kultur
Nördlich wird der Schillerplatz von der 1858 gebauten Chemnitzer Aktienspinnerei eingegrenzt. Sie galt einst als modernste und größte Fabrik Sachsens: architektonisch, weil sie vollständig aus Stein und Eisen errichtet wurde; industriell, weil sie enorme Produktionskapazität aufwies. Bis 2020 wurde ein Kernbestand saniert und dient heute als Domizil von Universitätsbibliothek und -archiv.
Chemnitz war zwischen 1870 und 1914 eine der größten Industriemetropolen Deutschlands, wuchs von 100.000 auf 320.000 Einwohner. Im Verhältnis von Einwohnerzahl und Steueraufkommen galt sie als wohlhabendste deutsche Stadt. Der wachsende Wohlstand schuf ein kulturelles Milieu in der Stadt: Zeitungen und Bibliothek, Vereine für Geschichte, Naturwissenschaft, Kunst und Literatur, Singakademie und höhere Schulen, bürgerliche Vortrags-, Ausstellungs- und Sammlungsaktivitäten. Beispielhaft dafür ist der Theaterplatz, der sich südlich am Schillerplatz anschließt: mit dem Central-Theater (1906-1909), seit 1925 Opernhaus, flankiert von der Petrikirche (1885-88) und dem König-Albert-Museum (1898-1908), heute Städtische Kunstsammlungen .
Stadt der Moderne
Diese Entwicklungen setzten sich bis in die 1930er Jahre und über den Schillerplatz und seine Umgebung hinaus auch in anderen Stadtvierteln fort und begründeten Chemnitz´ Ruf als „Stadt der Moderne“:
- ab 1855: Produktion von Fahrrädern, Fräs-, Schreib- und Rechenmaschinen in den Wanderer-Werken
- 1860-1930: Neoromanik, Neorenaissance und Jugendstil im Gründerzeitviertel Kaßberg
- 1903: Henry van de Velde baut für einen Textilunternehmer die Villa Esche
- ab 1905: Kunst expressionistischen Avantgarde um Karl-Schmidt-Rottluff, Edvard Munch und Otto Dix in den Kunstsammlungen
- 1927: Architekt Erich Basarke entwirft einen Industriekomplex für Schubert&Salzer, den heutigen Wirkbau
- 1930: Architekt Erich Mendelsohn baut das Kaufhaus Schocken, heute Staatliches Museum für Archäologie
- 1930: Architekt Fred Otto entwirft Neubau der Sparkasse, heute Museum Gunzenhauser für Kunst des 20.Jhs.
Chemnitz – Karl-Marx-Stadt und zurück: Zwei Neuanfänge
Heute zeigt sich der Schillerplatz nicht mehr in voller Größe als Park, sondern ist geteilt. Auf seinem nördlichen Areal befindet sich der Omnibusbahnhof. Er wurde in den 1960er Jahren angelegt, als die DDR den Wiederaufbau der 1945 im Zweiten Weltkrieg zu 90 Prozent zerstörten Innenstadt mit sozialistischer Architektur beschloss.
Seit 1953 hieß Chemnitz bereits Karl-Marx-Stadt und sollte zu einer sozialistischen Metropole umgebaut werden, wie die westlich des Platzes gelegenen Plattenbauten aus den 1970/80er Jahren zeigen. Die Straße der Nationen, die den Schillerplatz östlich tangiert, führt mit ihrer modernen DDR-Bebauung bis ins Zentrum. Auch der monumentale, 40 Tonnen schwere Marx-Kopf aus Bronze von Lew Kerbel (1971) ist Teil dieser Umgestaltung.
Mit der Deutschen Einheit 1990 begann die Stadt, sich wieder neu zu erfinden. Qua Bürgerentscheid erfolgte die Rückbenennung in Chemnitz. Seit drei Jahrzehnten wird viel gebaut, werden Lücken der Kriegszerstörung geschlossen und architektonische Denkmale restauriert. Um den Roten Turm aus dem 12.Jh. ist eine neue Innenstadt gewachsen, die versucht, ein Bindeglied zwischen Altem (1496-98) und Neuem Rathaus (1907-11) sowie den sozialistischen Bauten Hotel Congress und Stadthalle aus den Jahren 1969-74 zu sein.
Der Stadtrat beschloss 2023, in Voraussicht auf das Kulturhauptstadt-Jahr, die landschaftsarchitektonische Aufwertung des zentrumsnahen Schillerplatzes. Osmar Ostens Skulptur als Bestandteil des Purple Path, der Chemnitz als Kulturhauptstadt symbolisch mit der Region verbindet, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Der reiche historische Baumbestand soll erhalten, das Wegenetz erneuert werden.
Wurzeln der Stadt im 12.Jh.: Benediktiner-Kloster und Roter Turm
Wer Chemnitz heute besucht, kann nur an wenigen Stellen wahrnehmen, dass die Geschichte der Stadt mehrere Jahrhunderte weiter zurückreicht als die Boomjahre der Industrialisierung und Moderne. Eine Urkunde des Staufer-Kaisers Konrad III. aus dem Jahre 1143 bezeugt die Verleihung des Marktprivilegs an ein Benediktiner-Kloster. Dieses liege an einem Ort, der „Chemnitz genannt wird“ (lat. „locus Kameniz dictus“). Das Kloster sei, so erfährt man weiter, schon von dessen Vorgänger Kaiser Lothar III. gegründet worden.
Die frühesten Teile der Klosterkirche (heute: Schloßkirche) stammen aus den 1160er Jahren. Mit dem kaiserlichen Marktrecht hat sich im Umfeld des Klosters eine Siedlung etabliert, deren Spuren Archäologen nachweisen und um 1200 datieren konnten. Ein altes Zinsregister, das die Abgaben der Siedlung an das Kloster verzeichnet, bestätigt den Befund. Ab den 1250er Jahren ist die Pfarrkirche St.Jakobi urkundlich belegt, die beim Alten Rathaus (15.Jh.) am Markt steht. Aus dieser Zeit stammen auch die Fundamente des Roten Turms im Zentrum von Chemnitz, ein Teil der Stadtbefestigung.
So lassen sich die frühen Eckpunkte der Kaiserlichen Reichsstadt Chemnitz im Mittelalter umreißen. Wirtschaftlich muss sich die Stadt schnell etabliert haben. Ab dem 14.Jh. wissen wir sicher von umfangreicher Leinenweberei und einem Bleichprivileg (1357). Damit gerieten die regionalen Wertschöpfungsketten über viele Jahrhunderte in die Abhängigkeit des Chemnitzer Textilmarktes.
Die nach Chemnitz fließenden Geldströme weckten Begehrlichkeiten, was die Stadt zum Spielball diverser Interessen werden ließ. Kaiser, Klosteräbte und die Markgrafen von Meißen rangen zwei Jahrhunderte um Einfluss. Erst mit der Herausbildung der sächsischen Landesherrschaft kam die Stadt 1423 dauerhaft in den Einflussbereich der Wettiner, behielt aber ihre Freiheiten und Privilegien.
Sehenswert zu dieser Frühgeschichte der Stadt ist das Schloßbergmuseum.
Frühkapitalismus und neuer Glauben: Textilgewerbe, Montanwirtschaft und Reformation
Bleicher und Tuchhändler machten in Chemnitz das große Geschäft. Das Textilgewerbe blieb über Jahrhunderte die prägende Branche, die dann bereits im 18.Jh. frühindustrielle Manufakturen etablierte. Mit dem Boom des Bergbaus im Westerzgebirge wurde auch Geld in das Montanwesen investiert. Wir wissen von Beteiligungen an Bergwerken im nahen Geyer, von einer Saigerhütte (1471), welche Kupfer und Silber aus Erzgestein ausschmolz, und von einem Kupferhammer (um 1470) im Stadtgebiet Chemnitz.
Die Chemnitzer Bürgerschaft entwickelte ein hohes Selbstbewusstsein und versuchte sich in der 2.Hälfte des 15.Jhs. vom Kloster zu emanzipieren, sowohl in wirtschaftlicher als auch in religiöser Hinsicht. Reiche Bürger stifteten im Stadtgebiet ein Franziskanerkloster, pflegten neue Formen der Frömmigkeit, statteten die Stadtkirchen neue aus. Abgabenpolitik, Lebenswandel und Dienstverständnis der Benediktiner auf dem Berg oberhalb der Stadt waren in die Kritik geraten. All das waren erste Vorboten dessen, was wir in der historischen Rückschau Reformation nennen.
Spätgotischer Kirchenbau, Sommerresidenz und Kunstsammlung
Die Äbte Heinrich von Schleinitz (1484-1522) und Hilarius von Rehburg (1522-40) versuchten, diesen Entwicklungen gegenzusteuern. Offenbar um ein neues Zeichen des Aufbruches zu setzen, wurde die romanische Kirche aufwendig zu einer dreischiffigen Hallenkirche mit spätgotischen Elementen umgebaut (Chorweihe 1499): hohe, schlanke Pfeiler tragen ein schmuckes Schlingrippengewölbe.
Sehenswert ist auch die Ausstattung mit sakraler Kunst: Katharinenaltar (1499, Dauerleihgabe aus Großenhain), Nordportal mit Figuren des Meisters HW (1525), vier gemalte Tafeln eines ehemaligen Altars von Lucas Cranach d.Ä. (1518/20) sowie die berühmte Geißelsäule aus Eichenholz des Meisters HW (1515).
1539/40 wurde die Reformation eingeführt, das Benediktiner-Kloster aufgelöst. Herzog Heinrich der Fromme baute das Areal 1548/49 zu einem Residenzschloss um, daher der heutige Name des Areals: Schloßberg. Hier ist heute das Schloßbergmuseum zu Hause. In den rekonstruierten Klosterräumen (Kreuzgang, Refektorium, Kapitelsaal und Parlatorium) befindet sich eine bedeutende Sammlung sakraler Kunst mit Arbeiten des Meisters HW, Hans von Cöln sowie dem außergewöhnlichen Heiligen Grab und meißnisch-sächsischer Tafelmalerei.