Vom 27. bis zum 29. Juni (weitere Termine im September) finden performative Stadtrundgänge in Chemnitz statt. Die Performancekünstlerinnen Caroline Galvis aus Chemnitz und Sinéad Brady aus Coventry haben für ihr Projekt Two Towns einen Audiowalk entwickelt, der Stimmen aus beiden Städten zusammenbringt. Wir haben mit den beiden Initiatorinnen gesprochen.
Meist steht oder sitzt das Publikum im Theater oder bei Konzerten. Warum spaziert es bei dieser Performance?
„Two Towns“ erforscht, wie sich verschiedene Menschen im öffentlichen Raum in Chemnitz und Coventry fühlen. Für unsere Performance ist es uns wichtig, dass das Publikum dabei auch selbst draußen im öffentlichen Raum ist und sich durch die Stadt bewegt, während es die verschiedenen Stimmen aus Chemnitz und Coventry hört.
Der Weg, den das Publikum gehen wird, führt rund um die Alte Markthalle - ein recht zentraler Ort in Chemnitz, aber nicht das direkte Stadtzentrum, das man bei einer normalen Sightseeing-Tour wahrscheinlich erkunden würde. Rund um die Alte Markthalle und die Räume drum herum stehen Gebäude aus verschiedenen Epochen nebeneinander. Wir finden es interessant, dass sich das Publikum an einem Ort wie dem Seeberplatz zwischen der Alten Markthalle, einem eher zeitgenössischen Ort wie der Schmidtbank-Passage und dem Fluss Chemnitz bewegen kann. Unsere Performance stellt die Frage: Für wen sind diese Räume geplant und gebaut? Wer fühlt sich wohl und wer vielleicht eher nicht? Wir möchten, dass das Publikum gemeinsam im öffentlichen Raum anwesend ist, während wir diese Fragen stellen.
Was erwartet die Spaziergänger:innen?
Menschen aus Chemnitz und Coventry sprechen über ihre Erfahrungen im öffentlichen Raum ihrer Städte wie dem Schlossteichpark und dem Coventry War Memorial Park. Da der Spaziergang auch einige performative Elemente enthalten wird, wird es entlang der Route auch einige Theater-Momente geben. Das Publikum wird auf eine Reise durch die industrielle Vergangenheit von Chemnitz und Coventry mitgenommen. Bei den performativen Momenten gibt es ein Aufeinandertreffen mit historischen Figuren aus beiden Städten - künstlerisch interpretiert und mit garantiert viel Pomp und Pailletten.
Chemnitz und Coventry trennen 1000 km Luftlinie. Was verbindet die beiden Städte?
Wir arbeiten seit sieben Jahren zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich zusammen. In unserer bisherigen Zusammenarbeit haben wir uns unter anderem mit dem Thema „Zuhause“ beschäftigt. Dabei haben wir festgestellt, dass Chemnitz und Coventry viel gemeinsam haben. Beide Städte sind ehemalige Industriezentren, die im 19. Jahrhundert eine florierende Textil- und Transportindustrie hatten. Diese Ausrichtung der Städte auf Produktivität hat bis heute Einfluss auf den öffentlichen Raum, z.B. sind beide Stadtzentren eher für Autos als für Fußgänger:innen gebaut. Natürlich mussten beide Städte auch mit dem Rückgang dieser Industrien zurechtkommen. Wir fragen uns, ob und wie diese Transformationserfahrungen sich darauf auswirkt, wie Menschen in Chemnitz und Coventry den öffentlichen Raum in ihren Städten wahrnehmen. Darüber hinaus wurden sowohl Coventry als auch Chemnitz zur Kulturhauptstadt ernannt - Coventry war 2021 UK City of Culture - so dass beiden Städten ein kulturelles Potenzial nachgesagt wird, das von der breiten Öffentlichkeit erst noch entdeckt werden muss.
Mit eurem Audiowalk wollt ihr alltägliche Gefühlslagen zu Wort kommen lassen. Wie habt ihr diese Menschen gefunden und was erzählen sie?
Wir wollten eine Reihe von Menschen interviewen, die den öffentlichen Raum in Chemnitz und Coventry auf unterschiedliche Weise erleben: Dafür haben wir uns mit verschiedenen Institutionen oder Projekten in Chemnitz und Coventry in Verbindung gesetzt, über die wir dann in Kontakt mit unseren Interviewpartner:innen gekommen sind. In Coventry hat Sinéad zum Beispiel mit dem Coventry Resource Centre for the Blind zusammengearbeitet - Caro wiederum fand eine der Interviewpartner:innen über den Weißer Stock e.V. in Chemnitz. Wir haben aber auch Kontakt zu einer Gruppe von Aktivistinnen in Chemnitz aufgenommen, die sich für Feminismus im öffentlichen Raum einsetzen. Wir haben allen Interviewpartner:innen die gleichen oder zumindest sehr ähnliche Fragen gestellt, die sich darauf konzentrieren, wie sie den öffentlichen Raum in beiden Städten wahrnehmen und was aus ihrer Sicht fehlt - oder was bereits gut funktioniert. Obwohl wir für den Audiowalk ein breites Spektrum an Interviewpartner:innen und Perspektiven angestrebt haben, wissen wir, dass noch einige Perspektiven fehlen, die wir gerne einbeziehen würden, wenn wir das Projekt weiterentwickeln - zum Beispiel, wenn wir es nach Coventry bringen.
Was sollen die Besuchenden von dem Audiowalk mitnehmen?
Uns interessiert, was Menschen heute in öffentlichen Räumen erleben und fühlen. Wenn wir darüber sprechen – und auch über die Geschichte dieser Orte in Chemnitz und Coventry – können neue Sichtweisen entstehen, wie wir öffentliche Räume nutzen und gestalten wollen. Wie einer unserer Gesprächspartner:innen sagt, „ist der öffentliche Raum für alle da, absolut für alle“, auch wenn sich dieser nicht immer für alle zugänglich und einladend anfühlt. Wir glauben, wenn der öffentliche Raum für alle da sein soll, müssen wir anfangen, anders zu denken, uns nicht scheuen, Veränderungen vorzunehmen und möglicherweise Fehler zu machen, den Menschen in unseren Städten zuzuhören und uns im öffentlichen Raum füreinander einzusetzen. Wir möchten, dass sich die Menschen mit den öffentlichen Räumen, durch die wir uns in Chemnitz bewegen, stärker verbunden fühlen. „Two Towns“ verbindet zwei Städte und verschiedene Stimmen, die zum Nachdenken anregen, während man durch Chemnitz geht. Wir wollen eine Möglichkeit bieten, Chemnitz zu erkunden, die sich von normalen Stadtführungen unterscheidet. “Two Towns" ist eine spannende Möglichkeit, Chemnitz aus verschiedenen, neuen Perspektiven kennenzulernen - ob als Besucher:in oder als Einwohner:in.
Der performative Stadtrundgang Two Towns dauert etwa 1,5 Stunden und die Strecke beträgt ca. 2 km. Auf dem Instagram-Account @twotowns2025 wird es tagesaktuelle Informationen zu den Vorstellungen geben. Die Tickets für den Audiowalk können online oder direkt bei City Ticket in Chemnitz (Hartmannstraße 3A, 09111 Chemnitz) erworben werden. Es gibt keine Abendkasse vor Ort.
Gefördert durch die Carl und Marisa Hahn-Stiftung.
Mit freundlicher Unterstützung des Industriemuseum Chemnitz und urban.policy.