Das Projekt Raus aus Chemnitz? erzählt von Frauen, die die Stadt verlassen haben – und von den Hoffnungen, Brüchen und Erinnerungen, die damit verbunden sind. Stephanie Brittnacher übersetzt gemeinsam mit einem internationalen Zeichner:innen-Team ihre Geschichten in Comics. Die zweisprachigen Episoden (DE/EN) erscheinen online auf Instagram und auf rausauschemnitz.de. Wir haben die Illustratorin zum Interview getroffen.
In deinen Comics geht es um Frauen, die Chemnitz verlassen haben. Wie bist du darauf gekommen?
Das Thema Weggehen und Bleiben prägt Chemnitz seit Jahrzehnten – oft wird darüber nur in Statistiken oder in urteilenden Berichten gesprochen. Mich hat interessiert: Wie blicken Menschen selbst darauf? Welche Auswirkungen haben Brüche in ihrem Leben, und wie verbinden sich ihre Biografien mit gesellschaftlichen Entwicklungen? Anfangs war das nicht geschlechtsspezifisch. Im Laufe des Prozesses wurde aber deutlich: Wir können nur eine Handvoll Comics realisieren – und ich hatte bereits mit fünf Frauen gesprochen. Also habe ich mich bewusst entschieden, ihre Perspektiven in den Mittelpunkt zu stellen. Denn es sind oft Frauen, die einen Move wagen. Auch dieser Aspekt soll in Raus aus Chemnitz? Raum finden.
„Jede:r hier kennt jemanden, der aus Chemnitz weggezogen ist“

Deine Comics erzählen sehr persönliche Geschichten. Wie hast du deine Protagonistinnen gefunden?
Die meisten Geschichten sind über persönliche Netzwerke und Empfehlungen entstanden. Jede:r hier kennt jemanden, der aus Chemnitz weggezogen ist. Wir investieren viel Zeit in die Gespräche, damit die Frauen ihre Erfahrungen in ihren eigenen Worten erzählen können – und sich später in der künstlerischen Umsetzung wiedererkennen. Gleichzeitig achten wir auf den Schutz dieser Geschichten, denn nicht alle möchten öffentlich erkannt werden.
Du erzählst vom Verlassen von Chemnitz. Spricht da eine Sehnsucht aus dir?
Ja, und natürlich steckt darin auch ein Motor für dieses Projekt. Dennoch geht es um die Erzählerinnen. Für manche ist klar, dass sie nicht mehr nach Chemnitz zurückkehren, für andere steht das noch offen. Wir wollen diese Spannungen sichtbar machen – sie sagen viel über Zugehörigkeit, Identität und Veränderung aus.
Hast du den Eindruck, dass Chemnitzer:innen ein besonderes Verhältnis zu ihrer Stadt haben?
Oft höre ich von einer Hassliebe zu Chemnitz. In meinen ersten Gesprächen ist mir aber vor allem der liebevolle Part begegnet. Es gibt eine starke Verbundenheit zur Stadt, was mir auch zeigt, dass die Gründe für das Weggehen häufig auch in einer Notwendigkeit – etwa wirtschaftlichen – liegen. Daneben stehen aber auch Kritik oder Enttäuschung, die natürlich valide sind. Dieses Spannungsfeld macht die Geschichten so interessant.
Du hast dir noch die Illustrator:innen Tessa Astre (Oulu, Finnland), Ulrike Jänichen (Halle/Saale) und Magdalena Kaszuba (Hamburg) geschnappt, mit denen du an den Comics arbeitest. Wie kam es zu dieser Verbindung?
Wir wollten verschiedene künstlerische Handschriften und biografische Perspektiven zusammenbringen. Tessa Astre habe ich auf dem Comicfestival in Oulu, Finnland, kennengelernt, zu dem ich zur Vernetzung für dieses Projekt gereist bin. Über das Comicprojekt Wie geht es dir? wurde ich auf Magdalena Kaszubas Arbeiten aufmerksam und habe sie eingeladen. Und Ulrike Jänichen kam auf mich zu, nachdem sie von unserem Vorhaben gehört hatte – und es war klar, dass auch sie wunderbar in unser Team passt. Uns alle verbindet, dass wir persönliche Geschichten ernst nehmen und visuell stark umsetzen wollen.
Am 23. August 2025 von 16 bis 19 Uhr bietet das Team einen Comic-Workshop in Kooperation mit dem Kiosk des Unwissens am ehemaligen Flughafen in Chemnitz-Kappel (Stollberger Straße 100) an. Der Workshop wird von Tessa Astre und Ulrike Jänichen geleitet. Für alle ab 14 Jahren, kostenfrei und keine Vorkenntnisse nötig.